Datum: | | 20. August 2017 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Schluss mit Verharmlosung von Cannabis (19.08.2017, S. 28) |
|
In der Tat muss etwas gegen den Cannabiskonsum getan werden, vor allem aber bei Jugendlichen.
Bei Erwachsenen ist der Konsum zwar ebenfalls gesundheitsschädlich, aber in etwa so wie Nikotin oder Alkohol.
Bei Jugendlichen ist das anders, und es ist wichtig, dies in einer Weise konkret zu erklären,
dass die Jugendlichen das nicht wie das allgemeine Weismach-Gerede von Erwachsenen empfinden.
Es besteht nämlich einen wichtigen Grund, warum Cannabis für Jugendliche besonders schädlich ist.
Während der Kindheit und Jugend wächst der Hirn nicht nur im Volumen, sondern auch strukturell.
Die endgültige Hirnstruktur wird bei Mädchen erst erreicht wenn sie etwa 18 19 Jahren alt sind,
bei Jungs mit etwa 20 22 Jahren.
Das Prozess der strukturellen Entwicklung des Hirns wird von Cannabis beeinträchtigt,
so dass man am Ende ein weniger komplex strukturiertes Hirn hat. Einfach ausgedrückt,
man wird ein etwas dümmerer Erwachsene als wenn man im Jugendalter keinen Cannabis geraucht hätte.
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
|
Datum: | | 24. Juni 2015 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Bettelverbot für Kinder in Berlin (TSp. v. 24.06.2015, S. 1) |
|
Mein Leserbrief wurde freundlicherweise am erstfolgenden Sonntag veröffentlicht:
|
Datum: | | 12. September 2013 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Helmut Schümann: Kanzlerin und Kindeswohl (11.09.2013, S. 1) |
|
Ich bezweifele, dass die Kanzlerin selbst so denkt, wie sie sagte, dass sie sich mit Hinsicht auf die Gleichstellung von Homosexuallen-Paaren bei Kinderadoption schwer täte mit der kompletten Gleichstellung, weil sie dabei unsicher wäre was das Kindeswohl anbelangt. Das war bestimmt nur politisch so gemeint, denn das scheint in der Tat die mehrheitliche Meinung in der Union zu sein, die sie politisch zu vertreten hat.
Simplistisch gesehen, haben die sogar recht, denn ein Kind braucht sowohl eine Mutter-, wie auch eine Vaterfigur, und das ist im Idealfall am besten in einer Familie mit verschiedengeschlechtlichen Elternteile gewährleistet. Nur denkt Frau Merkel selbst nicht so simplistisch wie bei Konservativen mehrheitlich üblich.
Für eine objektive Sicht muss man fragen, wie viel Prozent der Kinder in glücklichen Ehen wachsen, und wie viel hingegen bei geschiedenen, alleinstehenden, oder bei täglich streitenden oder gar gewalttätigen Eltern leben. Als nächstes müsste man sich dann die Frage stellen, wo es den Kindern besser gehen würde, bei streitenden, geschiedenen, alleinstehenden Eltern, oder bei glücklich miteinander lebenden Gleich-geschlechtlichen. Erst da wären wir in die Realität angelangt.
Dann müsste man sich nur noch fragen, wenn man die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare verbieten will, wie das denn mit dem Schicksal von Kindern von streitenden, geschiedenen, alleinstehenden Eltern rechtlich vorzugehen wäre.
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 3. Juli 2011 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Martenstein: Schule fürs Leben (02.07.2011, S. 1) |
|
Freut mich sehr, dass jemand darüber endlich Klartext redet bzw. schreibt.
Das Problem der immer "schlaffer" werdenden Anforderungen an Schülern, oder an Kindern überhaupt, hat gewiss auch viele andere Aspekte.
Dabei ist das Problem bei den jetzigen Schülern viel komplizierter geworden, denn, wie ich in meinem Leserbrief vom 12.04.2011 [Matthies meint: Was der Verkehr wirklich braucht (TSp. v. 12.04.2011, S. 1)] schrieb, ist die erste Kuschelpädagogikgeschädigte Generation bereits längst ins Erwachsenenalter von zwischen 20 und 40 Jahren angelangt. Es sind ihre Kinder, die man jetzt in den Schulen begegnet.
Jedoch falls sie selbst damals von Eltern, die lediglich aus idealistisch ideologischen Gründen handelten, unerzogen gelassen wurden, so lassen sie ihre eigene Kinder jetzt unerzogen wachsen weil ihnen jegliche Vorstellung fehlt, wie man da vorgehen sollte, und überhaupt was das denn sei: Erziehung. Es hat folglich auch gar keinen Sinn mehr, ihnen deswegen ins Gewissen zu reden.
Zum Glück hat man bereits seit mindestens 10 Jahren angefangen, dagegen zu steuern, indem viel Eltern sich von den idealistischen Grundsätzen der Kuschelpädagogik fern hielten, und ihren Kindern in der Erziehung bewusst Forderungen stellten.
Nichts destotrotz sind da junge Erwachsene unterwegs, die tatsächlich erwarten, durchs Leben wie in Hotel Mama zurecht zu kommen, denn so wurde es ihnen immer vorgegaukelt. Also holen sie sich das, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht, ggf. mit Gewalt. Gewissensbissen haben sie da nicht, und können sie auch dabei nicht haben. Ein extremer Fall dieser Art ist Magnus Gäfgen, wie ich in meinem Leserbrief vom 19.03.2011 [Ein Mörder schlägt neue Wunden (TSp. v. 19.03.201, S. 28)] schrieb.
Aber ganz im Allgemein, wie sollen deutsche schulische Abschlüsse in der Zukunft mit denjenigen anderer Länder vergleichen? Oder meint man allen Ernstes in der EG und den Vereinten Nationen eine gleichzeitige Verwässerung des Schulunterrichts in der ganzen Welt durchsetzen zu können?
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 12. April 2011 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Matthies meint: Was der Verkehr wirklich braucht (12.04.2011, S. 1) |
|
Genau! Der einzige Störfaktor im Normalbetrieb einer öffentlichen Bibliothek sind ja bekanntlich die Leser.
Im öffentlichen Verkehr hat sich im Laufe des letzten Jahrzehnts eine neue Gruppe von Teilnehmern breit gemacht: Die der Kuschelpädagogikgeschädichten (KPG).
KPG-Fußgänger überqueren Straße oder Radweg ohne nach links oder rechts zu schauen. KPG-Radler fahren wo und wie sie wollen, oder bleiben mitten im Weg halten statt erst zur Seite zu fahren. KPG-Autofahrer wissen nicht wofür ihr Auto einen Fahrtrichtungsanzeiger (Blinker) hat, oder meinen, dass dessen Gebrauch freiwillig sei.
Es geht m.E. keinem von ihnen in erster Linie darum, irgendwie cool zu wirken. Es ist ihnen schlicht nicht bewusst, dass sie sich irgendwie unvernünftig oder gar regelwiedrig benehmen, genauso wenig auch wozu Regeln überhaupt gut sind. Dabei ist hier keineswegs von pubertierenden Teenagern die Rede, sondern von Erwachsenen, die zwischen 20 und 40 Jahre alt sind. Total süß, oder?
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 27. Juli 2010 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Dealerkinder sollen zur Alterskontrolle (27.07.2010, S. 9) |
|
Na endlich ist einer auf die Idee gekommen! Das spricht aber nicht
für mangelndes Intellekt der Einwanderer, wie Herr Sarrazin ihnen
gern unterstellt, sondern vielleicht eher der Justiz.
Ganz abgesehen davon, dass man sich erst nach mehr als 10-maliger Festnahme
des 13-Jährigen zu diesem Schritt "durchgerungen" ist, scheint es mir geradezu
filmreif, wie ein 11-Jährige die Behörden an der Nase führt. Bezeichnenderweise
wird in keiner der Mitteilungen darauf hingewiesen, dass die Täter unmöglich
selbst die Drogen eingeführt und in bequem schluckbare Kügelchen portioniert
haben können. Die Kinder mussten nur wissen, von wann bis wann sie unter
Beobachtung waren, um ausserhalb dieser Zeit die Ware abzuholen und das Geld
zu liefern.
Wie sehr man daneben liegt bei der Behandlung dieser Fälle zeigen die Rufe
nach Strafbarkeit für Kinder. Das kommt davon, wenn man versucht, immer mehr
Kinderrechte zu etablieren, statt sich um Kinderschutz zu kümmern. Denn die
Kinder sind nicht die Täter, sondern die Opfer. Aber es ist viel leichter
gegen Kinder vorzugehen, als gegen die wirklichen, erwachsenen Schuldigen.
Auch wenn man vor denen (den mafiosen Großfamilien) zu viel Angst hat, hätte es
sicherlich schon mal geholfen, wenn man die Kinder vor deren Zugriff schützen
würde, und zwar nicht erst nach mehr als 10 Festnahmen.
Denn wenn man weiss, dass sie bei der ersten Gelegentheit wieder weglaufen,
und man sie trotzdem in den gleichen Heimen bringt, ist das Resultat gewollt,
und das macht die Justiz mit schuldig! Wieso kommt eigentlich keiner auf die
Idee, sie in einem Internat fern weg von einer Großstadt unterzubringen, von
wo ein 11-Jähriger nicht so einfach wegläuft und zu seinem Mafiapaten zurück
findet?
Mit traurigen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 22. April 2009 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Nach Geburt Baby entzogen (22.04.09, S. 11) |
|
Vielen Dank für den Bericht von Solveig Rathenow.
Dass das Jugendamt das neugeborene Kind von der Mutter getrennt
hält entgegen Urteile eines Verwaltungsgerichts und eines
Familiengerichts is eigentlich skandalös.
Wenn man ein bis zu 2-Jahre altes Baby mehr als 48 Stunden von der
Mutter getrennt hält, erleidet es psychische Störungen. Als erstes
sollte man deshalb vielleicht in Erwägung ziehen, das Jugendamt
im Namen des Kindes auf Schmerzensgeld zu verklagen.
Wieso glauben manche Behörden, dass sie über das Gesetz stehen,
oder zumindest Gerichtsurteile ungestraft ignorieren dürfen?
Vielleicht holt sie eine Anzeige wegen Kindesentführung wieder
zurück auf den Boden?
Mit freundlichen Grüßen
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 26. März 2009 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Winnende ohne Ende |
|
Ist es "Glück" im Unglück, dass der Amokschütze in Winnende in einem
Wahljahr Amokgelaufen ist? Für den Amokläufer, vielleicht, denn so viel
Aufmerksamkeit von Politik und Medien hätte er sonst nicht bekommen.
Sonst lautet die Antwort "Nein", denn zu irgendwelchen konstruktiven
Vorschlägen, geschweige denn Taten, hat das dennoch nicht geführt.
Kriegerische Computerspiele zu verbieten hilft nicht. Jungs haben schon
immer Krieg gespielt. Dass sie das jetzt virtuell am Computer tun ist
sogar harmloser als frühere reelle Spiele. Sonst könnte man einen
Großteil der Bundeswehrtraining an Computersimulatoren absolvieren.
Doch nicht einmal die realistischsten Übungen können einen Soldaten
darauf vorbereiten, jenes "ulkiges" Gefühl zu verdauen, wenn er zum
ersten Mal sieht, wie der von ihm getroffene "Kollega" auf der anderen
Seite nach vorn purzelt und liegen bleibt. Killen am Computer geht
deshalb so leicht, weil die Kinder wissen, dass das nicht echt ist.
Strengere Regel zur Waffenaufbewahrung wären auch nicht sehr wirksam.
Nicht nur dass Deutschland sowieso bereits von allen Ländern die
strengsten Regeln hat, aber früher, als die noch weit weniger streng
waren, gab es erst überhaupt keine schulischen Amokläufe. Und das
bringt uns viellecht in die richtige Richtung: Der wahre Grund muss
eine relativ neue Entwicklung der letzten Jahrzehnten sein.
Das dies so ist, merkt man auch am steigenden Anteil burnoutleidender
und krankgeschriebener Schullehrer. Das Lehrertum hat nähmlich im
Wettstreit um Einfluss auf ihre Schüler gegen Jugendkultmagazine, Mode-
und Musikreklame, usw. verloren. Die eigentlichen Leidtragenden sind
jedoch die Jugendlichen.
Verlierer unter heranwachsenden jungen Leuten hat es bereits immer
gegeben, aber sie fanden meistens irgendwelche soziale Nischen, oder
ihr Versagen blieb irgendwie in ihrer "Privatsphäre" versteckt. Erst in
den letzten 10-20 Jahren wird der Wettbewerb unter Jugendlichen so
offen und gnadenlos ausgetragen, dass es unter bestimmten Umständen
dann zu einem tödlichen Amoklauf kommt. Erst wenn man bereit ist, alle
Lobbies zum trotz, daran etwas zu ändern, wird man Amokläufe in Schulen
in Zukunft vielleicht verhindern können.
Mit freundlichen Grüßen
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 24. Oktober 2008 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Schaffnerin setzt Mädchen im Dunkeln aus
(23.10.08, S. 32) |
|
Ein in der Tat abschäulicher Vorfall, doch noch mehr beeindruckten mich
die Begleitumstände: Mitreisende Passagiere guckten nicht weg, sondern
protestierten gegen die ungeheuerliche Anweisung der Schaffnerin und
boten sogar an, fuer das Mädchen zu Zahlen. Es ehrt auch die Deutsche
Bahn, dass sie sich sofort bei dem Mädchen und seiner Familie fuer den
Vorfall entschuldigt, und Disziplinarmassnahmen gegen der Schaffnerin
eingeleitet hat
Wir sehen also: Es stimmt gar nicht, dass die Deutschen Kinderfeindlich
seien. Wenn jetzt schon wieder ein Richter meint, eine Klage gegen einer
Kita wegen Lärmbelästigung stattgeben zu muessen (siehe TSp.
v. 21.10.2008, S. 28), dann handelt er schon zunächst einmal gegen die guten Sitten.
Dass dabei auf das Bundesimmissionsschutzgesetz zurueckgegriffen wurde
lässt noch mehr am Urteilsvermögen des Richters zweifeln. Kinder, im
Gegensatz zu Fabriken, sind Teil eines jeden menschlichen Miteinanders,
und das sie lärmen gehört genau so zum Alltag einer menschlichen
Gemeinschaft. Kinderlärm gehört deshalb nicht in einer Kategorie mit
Industrielärm.
Kann man einen Richter, im Gegensatz zu einer Bahnschaffnerin, denn wirklich
nicht irgendwie zur Verantwortung ziehen?
Mit freundlichen Grüssen,
Waruno Mahdi
Datum: | | 2. September 2008 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Ein Mauer-Fall (02.09.08, S. 24) |
|
Schon wieder meint ein Richter einem Kläger recht geben zu muessen,
dass Kinder-"Lärm" eines Kitas den Nachbarn nicht zumutbar sei.
Die Politik sollte aufhören so zu tun, als hätte sie mit einem
persönlichen Besuch im Kita oder sonstigen Bekundungen ihrer
angeblichen "Betroffenheit" bereits ihre Schuldigkeit getan,
sondern sich endlich dazu durchraffen, es per Gesetz unmöglich
zu machen, dass Richter solche beschämende Urteile fällen.
Mit freundlichen Grüssen,
Waruno Mahdi
PS. Ausfuehrlicher zum Thema habe ich bereits frueher geschrieben
(siehe unten)
|
Datum: | | 15. August 2008 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Trinken wie in Amerika (15.08.08, S, 6) |
|
Hut ab! Endlich mal was Vernuenftiges zum Thema. Die junge Journalistin
sollten Sie permanent verpflichten.
In der Tat, der Genuss von Alkohol, aber auch von Nikotin und anderen
Suchtmitteln, sollte erst ab einem Alter von 21 Jahre freigegeben werden,
und zwar nicht nur aus den von der Autorin (völlig richtig) genannten
Gruenden. Es ist mittlerweile fester Bestandteil des Wissens ueber die
Physiologie des Menschen, dass das Hirn erst mit 21 Jahre voll ausgewachsen
und strukturell entwickelt ist. Die Wirkung jener Wirkstoffe
auf das Gehirn ist ein vielfaches schädlicher vor dem 21. Lebensjahr,
als nachher, und zwar dauerhaft.
Dass man laut Grundgesetz ab 18 als erwachsen gilt ist kein Hinderungsgrund.
Jugendliche Straftäter können auch fuer Taten nach dem 18. Lebensjahr
nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Dabei sind die Erkenntnisse
der Forscher ueber Hirnwachstum vor dem 21. weit gruendlicher gesichert,
als ein Richter je beurteilen könnte, ob denn ein junger Erwachsene
bereits nach dem Erwachsenen-, oder erst nach dem Jugendstrafrecht zu
verurteilen wäre.
Eine weitere trinkenbezogene Regel, die man eventuell von den Amerikanern
uebernehmen könnte, wäre das Verbot, offen auf der Strasse Alkohol zu
trinken. Das wuerde es Jugendlichen noch mehr erschweren, sich bewusstlos
zu saufen.
Mit freundlichen Gr&uumnl;ssen
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 8. Juni 2008 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Mögen die Deutschen keine Kinder? (08.06.08, S. 18) |
|
Ich habe zunächst nicht reagiert. Das Problem ist ja uralt, und
irgendwann sieht man keinen Sinn mehr darin, immer wieder darueber
zu schreiben.
Jedoch, zunächst auf die Titelfrage: Mögen "die Deutschen" keine
Kinder? So vage die Frage auch erscheinen mag (wie will man schon
"die Deutschen" interpretieren?), gibt es auf sie eine durchaus
konkrete, eindeutige Antwort. Sie lautet "Doch", denn "Kinder sind
die Blumen des Lebens" sagt uns die urspruengliche, deutsche
sprachliche Tradition. Das ist kein Witz! Ueber die Jahrhunderte
hält die Sprache auf dieser Weise ganz unbefangen die authentische,
spontane ungezwungene Meinung einer Sprachgemeinschaft fest.
Nun gibt is in allen Ländern Miesepeter, manchmal mehr, manchmal
weniger, Deutschland nicht ausgenommen. Zum Glück haben wir aber
die deutsche Sprache, die uns mit Bestimmtheit bestätigt, dass das
nicht die wahren Deutschen seien, [...].
Wir brauchen deshalb nicht von Politiker(inne)n erklärt zu bekommen,
dass Liebe zu Kindern nicht "politisch verordnet" werden kann. Wofür
die Politik sorge zu tragen hätte, wäre dass die Gesetzeslage es
unmöglich macht, dass ein Gericht eine Klage gegen die Nachbarschaft
einer Kita oder eines Kinderspielplatzes wegen "Kinderlärmes" stattgibt.
Es muss ein Gesetz her, das mit ganz wenig Paragraphen festlegt, dass
Kindergeräusche, wie sie in Spielplätzen und Tagesstätten entstehen,
zu den natürlichen Lebensgeräuschen einer menschlichen Gemeinschaft
gehören, mit welchen sich jeder Bürger abzufinden hat.
Bei krankhafter Üeberempfindlichkeit hat sich ggf. die überempfindliche
Person weg zu ziehen, sei es mit finanzieller Unterstützung ihrer
Kranken- bzw. Pflegeversicherung.
Ein bereits bestehendes gegensätzliches Urteil soll keine Rechtskraft
in Bezug auf eine an der gleichen Stelle erneut zueröffnende
oder weitergeführte Kita oder Spielgelegenheit haben.
Mit anderen Wörtern, die Liebe zu Kindern muss nicht der Allgemeinheit
"politisch angeordnet" werden, sondern den Gesetzgebern.
Mit freundlichen Grüssen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 19. Januar 2008 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Multikulti ist gescheitert (17.01.08, S. 10) |
|
Der Autor scheint hier mehrere verschiedene Sachen in einen Haufen zu
werfen und durcheinander zu bringen. Und damit dies noch glätter über
die Bühne geht, modifiziert er unbeliebte Begriffe mit simplistischen,
von Haus aus dilettantischen Neudefinitionen (Multikulti = gastronomische
Vielfalt, z.B.) um.
Erstens darf man Multikulti (der vielmehr als Vielfalt in Essen, Kleidung,
Kunst usw. umfasst, und zwar auch kulturanthropologische Verschiedenheit,
insbesondere im sozialen Umgang miteinander) nicht mit etwas verwechseln,
dass man vielleicht "Multijuri" nennen könnte. In einem Land kann nur ein
Rechtssystem gelten, dem sich alle unterzuordnen haben, Einwanderer inklusive.
Das bedeutet: Nichts mit Ehrenmord, Zwangsheirat und dergleichen mehr.
Nur durch die Vermischung der beiden Begriffe, kommt der Autor zu der
Schlussfolgerung, dass Multikulti einer erfolgreichen Integration im Wege
stünde.
Doch der Autor bringt noch viel mehr durcheinander, um sein Süppchen
zu kochen. Statt von der Anerkennung eines einheitlichen Rechtssystems,
und zwar des im gegebenen Land geltenden, spricht er von "Akzeptanz des
staatlichen Gewaltmonopols, der Rechtsnormen". Die Umformulierung
braucht er um das Thema Jugendgewalt einzubeziehen. Denn, anders als
z.B. Zwangsheirat, hat dies weder etwas mit "Multijuri", noch um so
weniger mit Multikulti zu tun. Es mag zwar so aussehen als versuchten
die Jugendlichen ihr eigenes Recht durchzusetzen, in Wirklichkeit hat
das aber nichts mit Recht und Gesetz zu tun, sondern lediglich mit dem
gefühlten Fehlen von Respekt vor der persönlichen Würde.
Das Problem betrifft einen Teil von Jugendlichen arabischer und türkischer
Herkunft genauso wie junge Russland- und Kasachstan-Deutsche, oder
einheimische Rechtsradikale. Es handelt sich hier um Defizite in der
bisherigen Bildungs-, Jugend- und Kinderschutzpolitik. Im übrigen, wenn
Kinder auf die schiefe Bahn geraten, sind nicht die Kinder schuld,
sondern die Erwachsenen, sei es ihre Eltern, Lehrer, Kinderschutzbeauftragten,
Politiker, oder sonst wer. Das ist mit einer der Gründen
warum, wenn da überhaupt jemand ins Gefängnis gehört, dann auf keinem
Fall das Kind.
Aber auch das, natürlich, hat nichts mit Multikulti zu tun.
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 7. Dezember 2007 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Plauen, Plön - Berlin: Die Kindheitslotterie (07.12.07, S. 1) |
|
Danke für den wichtigen Beitrag. Man kann nicht oft genug über das
Thema schreiben und berichten, und es ist erfreulich das der Tagesspiegel
dem soviel Platz widmet, sogar als Redaktionsbeitrag auf der ersten Seite
(nicht zum ersten Mal).
Ich hätte da nur eine Bemerkung: Kinderrechte sind vielleicht formell und
juristisch gesehen in der Tat von großer Wichtigkeit, aber wie mir scheint
nicht das Entscheidende. Sie erwähnen zu recht altertümliche Gebräuche
von Kinderopfern, es gibt aber einen viel älteren, grundlegenderen Aspekt
in der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen. Die ganze Großfamilie,
Sippe, Gemeinde war mitverantwortlich für alle Kinder, nicht nur für
die persönlich eigenen. Es ist die "Kultur" von Weggucken, Das-Geht-Mir-Nichts-An
("sind ja nicht meine Kinder"), die bekämpft werden soll, und
man muss anerkennen, dass sich in den letzten Jahren einiges in die
richtige Richtung bewegt.
Kinderrechte sind wichtig, aber wichtiger ist vielleicht Kinderschutz.
Denn Kinder sind nunmal Kinder und müssen auch vor sich selbst geschützt
werden, sei es beim Koma-Trinken, Rauchen, Kiffen, Spielen mit Feuer,
Schuleschwänzen, oder einfach nachts nicht rechtzeitig schlafen oder
nichts außer Bürger mit Pommes essen zu wollen. Fragen wir lieber die
Leser (oder auch sich selbst): Wer von Ihnen hat bereits einen kiffenden
Minderjährigen angemahnt und von den Gefahren erzählt? Wer hat bereits
während der Unterrichtszeit ein Kind auf der Straße oder im Kaufhaus
gefragt, warum es nicht in der Schule sei?
So einfach ist das, aber wird wohl für vielen dennoch eine Menge
Selbtsüberwindung kosten, fürchte ich. Doch stellen Sie sich vor, welch
ein Effekt das haben würde, wenn auch nur 10% aller Erwachsenen das tun
würden! (und kostet keinen Pfennig Steuergelder).
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 25. März 2007 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Sieben Jahre Haft für Amokläufer (24.03.07, S. 18) |
|
Es scheint kennzeichnend sowohl für diesen Fall (der Betrunkene Messerstecher
war erst 16; im ähnlichen Fall des türkischen Jungen ist er sogar 12!),
wie auch für den noch immer in Trunk-Koma liegenden jungen Mann, dass
niemand sich dafür interessiert, woher die betroffenen Minderjährige
den Alkohol bekamen.
Analog wie beim Rauchverbot, das der Politik offenbar so viel Bauchschmerzen
bereitete, zum Teil immer noch bereitet, muss wohl auch beim
Alkohol der Lobby wirklich übermächtig sein. Politik, Justiz, sogar
Presse, keiner wagt ein Fingerzeig auf die Vertreiber und Verkäufer,
oder aber murmeln allenfalls etwas über Bußgelder, die eventuell den
übereifrigen Alkoholschanken auferlegt werden könnten.
Ich glaube nicht, dass mit Geldstrafen sehr viel zu erreichen wäre.
Es fehlt Kontrollpersonal (kostet!), und auch aufgedeckte Verstöße
werden selten empfindlich geahndet. Viel effektiver wäre deshalb,
die konkreten Alkoholvertreiber bzw. -verkäufer unmittelbar mitverantwortlich
zu machen für das, was ein Minderjähriger so anstellt
nachdem er von ihnen mit dem Alkohol versorgt wurde. Oder meint
irgendjemand im Ernst, derjenige, der dem 16-jährigen Amokstecher
oder Koma-Betrunkenen Alkohol verkauft hat, nicht mitverantwortlich
sei und es nicht verdient hätte, wenigstens ein paar Wochen lang
schwedische Gardinen von innen zu betrachten?
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 22. November 2006 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Streit um Killerspiele/Gewalt im Spiel (22.11.06, Ss. 1 + 32) |
|
Jungs spielten schon Krieg (dsgl. Piraten, Räuberbanden, usw.) seit eh
und je, und Verbote werden nichts bringen, zumal alles jetzt vom Internet
downloadbar ist. Das Problem liegt ganz und gar nicht an kriegerischen
oder sonstigen Computerspielen, sondern die zuständigen Mediziner haben
mal wieder das eigentliche Problem verschlafen.
Der junge Amoklaufer in Emsdetten litt vermutlich unter Asperger Syndrom
oder etwas ähnlichem. Dabei ist die Fähigkeit, eine emotionale Beziehung
zu anderen Menschen aufzubauen, gestört. Das führt zu einer seelischen
Isolierung des Betroffenen. Statt Spiele zu verbieten, sollten Schul-
oder Kinderärzte frühzeitig feststellen, ob ein Kind unter einem solchen
Syndrom leidet, und rechtzeitig die nötigen Therapien einleiten.
Falls es wirklich an Kriegsspielen läge, wären alle Schulen des Landes
längst unter täglichem Dauerbeschuss von Amokläufern.
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
P.S. |
vielleicht bis zu 50% (wenn nicht mehr) der allgemein praktizierenden
Ärzte haben offenbar noch nie etwas vom Asperger Syndrom gehört. Wenn Sie
sich also darüber informieren möchten, bekommen Sie vielleicht eher was Sie
suchen durch Googeln nach "Asperger" im Internet, als durch befragen eines
bekannten Arztes. |
|
Datum: | | 02. April 2006 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Gewalt an Schulen steigt (01.04.06, S. 7) |
|
Vielen Dank für die sehr interessante Statistik, die vielleicht
noch aussagekräftiger gewesen wäre, wenn sie nicht einfach in
absoluten Zahlen ausgedruckt wären, sondern in relativen, z.B. auf
je 1000 Schüler. Das wirklich fehlende Tüpfelchen auf dem i
ist aber der jeweilige Prozentsatz ausländischer Schüler in den
genannten Bezirken. Denn erst da hätte man ersehen können, in
welchem Umfang die "Unregierbarkeit" der Schulen sich mit dem
Ausländeranteil korreliert.
Aber das Problem ist wohl viel komplexer, als das es nur mit der
in der Tat unzureichende Assimilierung ausländischer Mitbürger
zu erklären wäre.
Eigentlich sah man das Problem bereits seit vielen Jahren kommen.
Zugleich hatte man reichlich Gelegenheit, die Entwicklung zu
studieren am Beispiel der USA, wo das Problem noch viel früher
bestand.
Neben den vielen Faktoren, die bereits in der einen oder anderen
Weise in der laufenden Diskussion hervorgebracht wurden, ist da
noch einiges vielleicht übersehen worden:
(a) |
Die sogenannte "Kuschelpädagogik" hatte dazu geführt, dass
Kinder vor jeglichem Stress bewahrt wurden, so dass sie erst in
der Pubertät völlig unvorbereitet damit konfrontiert wurden.
Eine Kindheit ohne Stress bewahrt ja leider nicht vor einem
Erwachsenenleben ohne dessen (eher vielleicht umgekehrt).
Wer nicht dafür vorbereitet ist, behilft sich halt mit Faust
und Fußtritt.
Etwas Strenge, natürlich in ausgewogenem Maße (und von Kind zu
Kind unterschiedlich), ist nicht nur wichtig, gerade das volle
Fehlen dessen ist mit eine der Ursachen von Hyperaktivität. Das
Kind fühlt sich nicht nur unterbeansprucht, sondern auch nicht
hinreichend geborgen. |
(b) |
In der kommerziellen Werbung, in Videos und Filme, Musikklips
und -texte wird das Thema Rebellion und Aufstand gegen die
Erwachsenenwelt immer mehr verherrlicht. Nun ist die Aufmüpfigkeit
während der Pubertät eine sehr empfindliche Phase im Werdegang
eines jungen Menschen, die für die Abnabelung von seinen Eltern
und Erlangung erwachsener Eigenständigkeit sehr wichtig ist.
Seit Jahrtausenden, bis vor wenigen Jahrzehnten, geschah dies
ganz natürlich, wobei allenfalls der eine oder andere als
charakterschwach geltende Erwachsene sich eventuell den
rebellierenden Jugendlichen "anschleimen" würde. Heute macht
das aber eine ganze volkswirtschaftlich durchaus bedeutende
Wirtschaftsbranche. Vielleicht sollte der Jugendschutz nicht
nur vor Sex und Gewalt bewahren. Auf jeden Fall sollte sich die
Pädagogik damit auseinandersetzen und sowohl Eltern wie Lehrer
mit entsprechendem Rat beistehen. |
(c) |
Der Einfluss von Mode- bzw. Markenzwang auf das Verhalten von
Jugendlichen sollte vielleicht nicht unterschätzt werden. Gerade in
diesem Alter hat die Selbstdarstellung ein große Bedeutung für
den Selbstrespekt. Bei Gewaltauseinandersetzungen unter Jugendlichen
geht is praktisch um nichts anderes, als um Respekt.
Aber hier würde zuerst einmal die Einführung von Schuluniformen
rasche Abhilfe bringen, nicht zuletzt auch weil damit das
Zusammengehörigkeitsgefühl erhöht wird. |
Mit freundlichen Grüßen
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 13. Mai 2000 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | Zeit der Pflichten (13.05.01, S. 2) |
|
Dies is sicherlich ein wunderbares Beispiel dafür, wie eine
Kanzlergattin ihre exponierte öffentliche Position in
lobenswerterweise dazu benutzen kann, eine lohnende Sache
voranzutreiben.
Als die Pedagogik von den antiautoritär Bewegten, wie nach der
Pendeltheorie leider nicht anders zu erwarten, in das genauso
einseitige Gegenteil des von ihnen zuverhindernden Übels
umorientiert wurde, geschah dies ungefähr zeitgleich mit einer
Reihe von für die Kindererziehung überaus verhängnisvollen
Entwicklungen:
(1) |
der Anteil von Kindern mit alleinerziehenden oder geschiedenen
Eltern, die zu hause keine Erwach-senenmuster partnerschaftliches
Miteinanders erleben können, wächst stetig, genauso: |
(2) |
der Anteil von Einzelkindern, die keine Erfahrung geschwisterliches Miteinanders
mit auf dem Weg bekommen. |
(3) |
Zugleich berauben Fernsehen, Videos, Flipper und Computerspielen
den Kindern immer mehr der Erfahrung der alltäglichen Auseinandersetzung
mit einer realen sozialen wie auch materiellen Umwelt. Es ist ihnen
nicht mehr unbedingt gegenwärtig, dass eine Kollision mit einem Baum
am Straßenrand durchaus physisch erlebbare Folgen für einem selbst
haben kann, oder dass ein reales Moorhuhn, einmal weggeballert, nicht
mehr mit Neustart des Games wieder quicklebendig in die Lüfte steigt.
Auch dass reelle Hemnisse im Leben nicht wie virtuelle Moorhühner per
Knopfdruck zum Verschwinden gebracht werden können. |
(4) |
Im Verlauf der wirtschaftlichen Konjunkturankürbelung hatte
man die Möglichkeiten, erwachsene Käufer zu immer gewagterem
Konsumverhalten zu animieren, bereits voll ausgereizt, so dass
nichts anderes übrig blieb als nunmehr deren Kinder zur
Hauptzielgruppe der Werbung zu machen. Die sind ohne elterlicher
Führung völlig hilflos den Verlockungen ausgeliefert. Man musste nur
die Kinder möglichst vom Verhaltensorientierung an deren besonneneren
Eltern wegbringen (Leitspruch: Traue keinen über 30). |
(5) |
Die immer kürzer werdende Periodizität der Technologieerneuerung
in der Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten den normalen
menschlichen Arbeitslebensdauer deutlich unterschritten: Nach vierzig
bekommt man kaum mehr einen neuen Job. Vor fünfzig Jahren konnte
ein Halbstarker sich vom Vati noch das Autofahren beibringen lassen,
jetzt muss Paps jedesmal wenn der Computer streikt den Sohnemann
zu Rate ziehen. Das Kind sieht in seinen Eltern immer weniger eine
Quelle von lebenswichtigem Wissen, welche eine notwendige Grundlage
des früher natürlichen Respekts vor Älteren darstellte. |
Insbesondere die letztgenannte Entwicklung führt zu einer Art
anthropologischer Krise. Denn nicht einmal die meisten Erwachsenen
durchschauen die komplizierten dialektischen Zusammenhänge, die
hinter vielen Lebensweisheiten und sittlichen Verhaltensregeln
liegen. Auch diejenigen, die einen bestimmten Einsicht darin erlangen,
benötigen dafür eine Lebenserfahrung, die typischerweise erst nach
dem Midlife einkehrt. Jugendlichen fehlt nicht nur die Lebenserfahrung,
solche Zusammenhänge einzusehen, sie würden sie nicht einmal verstehen
können, wenn ihre Eltern sie hinreichend begreifen würden um sie ihnen
zu erklären.
Der anthropoligisch bisher gegebene Respekt vor Älteren garantierte
die Weitergabe auch logisch undurchschaubare, z.T. über Jahrhunderte
angesammelte Weisheiten als sittliche Kulturerbe. Zugleich sorgte
eine empfindliche Balance zwischen jenem Respekt vor Älteren und
einer ebenso natürlichen jugendlichen Aufmüpfigkeit für eine
zaghafte kulturelle Anpassung an Änderungen der materiellen
Lebensbedingungen. Es ist diese Balance, die nun in Gefahr ist,
völlig gestört zu werden.
Aber jedem Kultur- und Sittlichkeitsbegriff steht zunächst einmal
das menschliche Miteinander zugrunde. Denn jede Art von Sittlichkeit
ist auf zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut. Gerade hier liegen
zur Zeit die gravierendsten Defizite. Nicht nur bekommen immer weniger
Kinder die dafür notwendigen Erfahrungen (siehe oben zu 1 und 2),
sondern aufgrund der Virtualität der mit Computerspielen erlebten
Ersatzlebenserfahrung fehlt ihnen immer mehr der Sinn für die
selbständige Gegenständlichkeit anderer Personen (die unter
Jugendlichen äußerst beliebten Horrorvideos stumpfen noch mehr ab).
Sie können z.B. ohne jeglicher Absicht den Durchgang versperren und
sich dann ehrlich wundern, wenn etwaige gestörte Passanten sie deswegen
anmeckern. Im Computerspiel waren das nur virtuelle Gestalten, und
als Einzelkind dreht sich sowieso alles um einen herum, waren Alle
nur für einem allein da. Das Kind kann nichts dafür, dass ihm nie
etwas anderes beigebracht wurde.
Das Problem ist also genau so schwer zu lösen, wie es dringend eine
Lösung verlangt. Gut dass jemand die Notwendigkeit, das Problem in
Angrif zu nehmen, jetzt endlich auf wirksamer Weise angemahnt hat.
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 31. Dezember 1999 |
An: | | Den Spiegel |
Betreff: | | Titel: Tanz ums goldene Kalb (Nr.51/20. Dezember 1999) |
|
Der Spiegel machte in seiner
diesjährigen 51. Ausgabe die philosophisch
fundierte Suche nach der Moral am Vorabend des Jahres 2000 zur
Titelgeschichte. Der Konsens darüber, was gut und was böse ist,
schwindet, wie überhaupt der Wert, den die heranwachsende Generation
auf die Moral legt.
Die scheinbare moralische Ausweglosigkeit der ausgemalten Situation
hat ihren Ursprung, wie mir scheint, im Beharren der Philosophen auf
das absolute Primat des Geistes vor dem Materiellen. Wir schleppen noch
immer Gedankengut mit uns herum, das in der Aufklärung des 17. und 18.
Jahrhunderts hoch aktuell war, inzwischen jedoch vom Stand des Wissens
überholt wurde.
Gemeint hier ist keineswegs die klassisch materialistische Darstellung
von Geist als Attribut von Materie. Die Einsicht in die Ursprünglichkeit
von Materie wird für einen bedeutenden und keineswegs unzureichend
gebildeten Teil der Menschheit offenbar immer als Metaphysik erscheinen.
Bedeutsamer, oder zumindest wissenschaftlich verbindlicher erscheinen
mir deshalb Erkenntnisse, die aufgrund umfangreicher konkreter
Feldbeobachtungen von Ethnologen und Anthropologen gewonnen wurden.
Bereits im 19. Jahrhundert bildete sich die allmählige Einsicht, wie
die Auseinandersetzung zwischen Mensch und seinem materiellen und sozialen
Umfeld zu der Entwicklung von rituellen und Glaubens-Traditionen führte.
Anfang des 20. Jahrhunderts kam man zum Begriff der mystischen Logik,
die nicht nur die Denkweise von Urmenschen charakterisierte, sondern
auch modernen Menschen nicht fremd ist.
Der Kreis schloss sich Mitte des 20. Jahrhunderts, als einem klar wurde,
dass der grundsätzliche Unterschied zwischen Homo sapiens und dem übrigen
Tierreich nicht etwa in der Intelligenz, der Verwendung von Werkzeugen,
oder der Fähigkeit zu Kunst lag, sondern darin, dass die soziale Struktur
einer menschlichen Gemeinde auch kulturell bedingt ist (und somit genauso
viele Spielarten kennt, wie es Kulturen gibt), statt nur biologisch (und
daher streng artspezifisch). Das Multikulti von Monogamie / Poligamie,
Endogamie / Exogamie, Matriarchat / Patriarchat, Demokratie / Autokratie,
egalitäre / Standes- oder Klassengesellschaft, Feudalismus / Kapitalismus usw.
innerhalb der gleichen Spezies, so etwas kennt die übrige Tierwelt nicht
einmal ansatzweise.
Wie, fragt man sich, konnte bereits der primitivste Urmensch das Leben
seiner Gemeinden organisieren, wenn wir mit all unserem High-Tech nicht
einmal das Verhalten unserer Kinder in den Griff bekommen, geschweige
denn das unserer Politiker?
Er besaß natürlich weder das nötige Wissen, noch die Fähigkeit, Erfahrung
logisch rational in Wissen umzusetzen. Er sammelte und verarbeitete sie
ganz unsystematisch, intuitive, und vor allem mystisch. Die Fantasie,
durch welche er in allen Gegenständen und natürlichen Phänomenen um sich
herum eine eigene Willens- und Tatkraft wähnte, als wären die mit eigenen
Geistern beseelt, hatte zur Folge, dass er sich quasi von jenen
vermeintlichen Geistern dressieren ließ. Der Mechanismus der Entstehung
moralischer Glaubenssätze könnte man sich anhand dessen veranschaulichen,
wie das Tabu gegen Inzest vermutlich entstanden ist: Der Urmensch musste
gefolgert haben, dass Verkehr unter Geschwistern die Geister erzürnte,
was daraus zu erkennen war, dass aus solcher Vereinigungen oft kränklicher
Nachwuchs hervorging. Also fügte er sich dem wie er meinte von den
Geistern auferlegten Tabu.
Hieraus lassen sich eine Reihe von wichtigen Schlüssen ziehen:
Erstens ist der Glaube auch aus rein materialistisch anthropologischer
Sicht ein fundamentales menschliches Attribut, das für das geordnete
Funktionieren eines menschlichen Gemeinwesens und für das seelische Heil
dessen individuellen Mitglieder genauso wichtig ist, wie das Atmen und
Sich-Ernähren für deren Lebensfunktionen. Denn ein Wesen, das die
Fähigkeit besaß, biologische Instinkte zugunsten kultureller Regeln zu
unterdrücken, konnte nur überleben, wenn anstelle instinktiver Hemmungen
genauso verbindliche kulturelle eintraten. Seine Glaubensfähigkeit,
die dabei die maßgebliche Rolle spielte, musste wohl an einer wichtigen
Schnittstelle im Übergang vom Menschenaffe zum Menschen den
ausschlaggebenden Selektionsfaktor gewesen sein.
Nicht zufällig, also, sehen sich sogar Humanisten schließlich auch nur
Menschen dazu genötigt, der primäre Ursprung ethischer Prinzipien im
Geist zu suchen. Nicht einmal die ideologisch abgehärtesten Kommunisten
kamen ohne Pantheon von Patriarchen, Heiligkeit als ulimativer Ausdruck
des moralisch Verbindlichen, oder Pilgerstätten und anderen Orten und
Gegenständen der rituellen Verehrung aus. Echt atheistisch ist wohl
nur ein kleiner, eigentlich sehr bedauernswerter Schar wirklich
nihilistischer Anarchisten. Wie auch immer, es kommt gar nicht darauf
an, ob man Idealist, Materialist oder Agnostiker ist: Die Wichtigkeit
des Glaubens insbesondere in seinem moralisch-ethischen Aspekt bleibt
bestehen, unabhängig davon ob von einem personifizierten Gottesbegriff,
von einem ganz gleich wie gearteten kultivierten Geist oder idealistischen
Edelmut herleitend. Nur für seine Wirksamkeit, uns ins Gewissen
hineinzureden, schlüpft er sich in jenen edelen Gestalt,
denn unsere Empfänglichkeit dafür wurde in langwiereiger
natürlicher Selektion geschärft.
Zweitens handelt es sich beim wie beschrieben entstehenden Glauben
nicht um direkt logisch und rational hergeleitetes Wissen. Das hilft
ein wichtiges Problem zu klären, dass die Abkehr vom Primat des Geistes
sehr vielen bereitet: Der sachlich utilitäre Beigeschmack, der dann
allen ethischen Prinzipien beihaftet. Aber die dialektisch indirekte
Herleitung des Prinzips gilt auch dann, wenn der materielle Zusammenhang
durchaus transparent ist. Denn, wenn ich einen auch von anderen benutzten
Raum so hinterlasse, wie ich ihn selber gern immer vorfinden möchte, hat
nur ein anderer der nächste Benutzer etwas davon. Erst wenn es zum
Grundsatz wird, den alle Benutzer befolgen, profitieren davon auch alle,
ich selbst mit eingeschlossen. Der Zauber gelingt erst über den Umweg eines
allgemein befolgten ethischen Glaubenssatzes, bei dem man nicht gleich
seinen unmittelbaren Eigennutz im Vordergrund hat, sondern diesen nur
über die Wahrung der Interessen des Allgemeinwohls. Was nun aber den
indirekten Eigennutz anbelangt, hat denn nicht auch die pietätvollste
religiöse Hinwendung letztendlich das eigene seelische Heil zum Zweck?
Drittens, folgt aus dem Obigem, dass moralische, ethische, oder religiöse
Glaubenssätze relativ sein müssen, da durch die konkreten Verhältnissen
bedingt, in denen sie enstanden sind. Die Relativität jedes moralischen
Prinzips gilt auch für noch so universelle religiöse Gebote. Ganz
abgesehen davon, dass ein Psychiater sich eventuell eine Klage wegen
Körperverletzung einhandelt, wenn er das Gebot, nicht zu Lügen,
konsequent befolgt, hat das Gebot Du sollst nicht Töten noch keinen
Patriarchen, nicht einmal Moses selbst, dazu veranlasst, die Abschaffung
von Streitkräften zu fordern. Moralische Doppelbödigkeit könnte darin
jedoch allenfalls ein überzeugter Pazifist-Totalverweigerer ersehen,
auch wenn der Begriff Friedensmission erst in der allerjüngsten Zeit
gemünzt wurde. Außerdem hat noch keine Religion (noch weniger irgendein
religiöser Fundamentalist) von Haus aus die Abschaffung der Todesstrafe
verlangt, sondern eher wohl Anhänger von Glaubensrichtungen die zum
Humanismus oder Freidenkertum tendierten.
Aus umfangreichen ethnographischen und anthropologischen Daten kennt man
ja die Flexibilität religiöser Glaubenssätze zugenüge. Der Mensch hat in
allen Kulturkreisen schon immer grenzenlose Fantasie und Kreativität
an den Tag gelegt, um althergebrachte religiöse Prinzipien nach Bedarf
umzudeuten, sie in Einklang mit veränderten Lebensbedingungen zu bringen.
Jede Weltreligion ist in unzähligen Modifikationen vertreten, die bei
orthodoxer Unveränderbarkeit ja nie hätten entwickeln können.
Wir kommen nun endlich zum aktuellen Problem: Warum geben Religion und
Moral unserer Jugend nicht mehr den erhofften geistigen Rückhalt?
Zunächst braucht man sich nur die Probleme anzusehen, die die Jugend
gerade zuletzt beschäftigten: Gleichstellung von Mann und Frau,
Bekämpfung von Umweltverschmutzung, Eheähnliche Beziehungen ohne
Trauschein oder nicht zwischen Mann und Frau, usw. Was sagt dazu die
Kirche (oder auch die Moschee)? Wem wundert es, wenn der eine oder der
andere sich dann vielleicht zum Buddhismus wendet (nicht dass daran
an sich etwas verkehrt wäre, nur dass es vom Versagen der Religion, der
man zuvor angehörte, zeugt), oder gar vollends verwirrt einen Bhagwan aufsucht.
Und musste die Regelung jener Probleme nicht auch gegen dem zähen Widerstand
von Regierungen und sonstigen weltlichen Statthaltern geistig-moralischer
Authorität durchgesetzt werden?
Es kam noch schlimmer: Während des kalten Krieges gab es ein rebellischer
Jugend auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs. Klar, dass es sich von
selbst verstand, die rebellische Jugend des jeweils gegnerischen Blocks
moralisch anzustacheln, und die eigenen Blagen irgendwie abzulenken und
sich auf unkritischen Sachen konzentrieren zu lassen. Während sich hier
die Jugend Ho, Ho, Ho chi Minh skandierend durch die Straßen zog und
umstürzlerische Fantasien wie Befreit Grönland vom Packeis zelebrierte,
erfreute sie sich drüben klammheimlich an Boogy-Woogy, Rock-n-Roll,
Disco und anderen Schmuggelwaren vom Klassenfeind (Nylons, Jeans). Also
unterminierte man gegenseitig in trauter Uneinvernehmlichkeit gezielt
die moralische Lauterkeit der Jugend, wie sie von der im jeweiligen Block
herrschenden Ideologie verstanden wurde. Wichtigster
Nebeneffekt: Die Zerstörung des unterschwelligen Respekts der Jugend
vor der jeweils eigenen Erwachsenenwelt.
Aber auch das war noch lange nicht das allerschlimmste. Als mit dem
Untergang des Ostblocks die Motivation für jene moralische Subversion
verschwand, war sie eigentlich längst nicht mehr wirklich aktuell. Die
Jugend im Westen hatte mittlerweile Atomkraft nein Danke und Öko-Power
für sich entdeckt. Dies ließ sich ja schlecht vom Ostblock in dem
Punkt weit angreifbarer als der Westen instrumentalisieren.
Andrerseits verlor die Politik der Einnahme der Jugend für Konsumkult und
Mode-Schnickschnack ihre besondere Zielrichting gegen Ost dies war
wohl auch niemals die ausschließliche oder auch wichtigste Motivation
gewesen.
Es ist im Nachhinein schwer festzustellen, was wohl der eigentliche
Motivation oder treibende Kraft war.
Der Schock, den die Eskalation von der Halbstarkenrebellion der 50er zur
offenen 1968er Revolte sowohl bei Politik wie auch bei Wirtschaft bewirkt
haben muss, führte seinerzeit zu eingehenden Forschungsprojekten über
psychologische Aspekte des radikalen Aktivismus und über
Massenverhaltensmanipulation durch Werbung (der im Koreakrieg entstande
Begriff Gehirnwäsche war allen noch frisch im Gedächtnis).
Daneben führte immer neue Spirale der Konjunktursankürbelung dazu, dass
auch der Massenabsatz von möglichst kurzlebigen Wegwerfprodukten und der
Kauf auf Pump nicht mehr steigerungsfähig waren. Wo Erwachsene kaum noch
zu immer leichtsinnigerem Konsum animiert werden konnten, musste die
leichter beeinflussbare Jugend her, und sogar Kinder. Das blieb nicht ohne
Folgen, wobei die unter Schulkindern wütende Jahrmarkt der Eitelkeit mit
Markenwaren wohl eher die harmloseste ist (Nebeneffekte: Gelderpressung
von schwächeren Schülern; Teilzeitprostitution bei einzelnen Studierenden
und Auszubildenden, im Ausland manchenorts sogar auch bei Schülerinnen
und Schülern). Die Hauptbotschaft, die die Kinder eingetrichtert bekamen,
lautete: Wichtig ist der oberflächliche, vordergründige äußere Schein,
und nicht das tieferliegende, inhaltliche, innere Wesen.
Die Kinder wurden langsam aber sicher vom moralischen Obhut der Eltern
losgelöst durch kommerzielle Instrumentalisierung des jugendlichen
Abnabelungsprozesses (traue keinen über 30). Natürliche pubertäre
Aufmüpfigkeit, eine sehr empfindliche Phase des Werdegangs eines Menschen,
bekam unerwartete (und eigentlich sehr verwirrende) moralische
Unterstützung von erwachsenen Geschäftemachern. Solch derber Eingriff
ins Intimbereich des jugendlichen geistigen Wachstums kannte man
ursprünglich allenfalls von fragwürdigen, charakterschwachen, moralisch
labilen Einzelerwachsenen.
Es fügte sich, dass die technologische Akzeleration die Jugend immer
mehr aus der Lehrabhängigkeit von Erwachsenen herauslöste. Die Periode
technologischer Erneuerung wurde immer kürzer und hat mittlerweile den
beruflich aktiven Lebensalter eines Menschen unterschritten. Wie man
einen Auto fährt konnte Sohnemann noch vom Papa lernen. Beim Umgang
mit Komputern verhält es sich jetzt völlig umgekehrt. Die Botschaft,
die die Werbung der Jugend vermittelte, scheint sich ihr zumindest
mit Hinsicht auf die Erlangung des vordergründigeren, anschaulicheren
technischen Wissens zu bestätigen. Also haben die Oldies/Grufties auch
in moralischen Fragen, wo Wissen in verdeckter, indirekter, dürch die
Erfahrung vieler Generationen akkumulierter Form steckt, immer weniger
zu melden.
Zwar hat eine auf sich allein gelassene Generation noch niemals Kultur
von Null an neu aufgebaut, doch ihr wurde bis jetzt immer die fatalen
Folgen ihres kulturlosen Zustands unmittelbar vor Augen geführt, in der
Regel durch physischen existenziellen Untergangs ihres Gemeinwesens.
Die jetzige Generation erlebt die natürliche Welt immer mehr auf dem
Bildschirm statt im Original, und soziale Beziehungen eher im virtuellen
Welt des Komputerspiels und des Internets. In der Abkapselung von der
Realität kommen Folgen des moralisch-ethischen Defizits für den
Einzelnen erst überhaupt nicht ernsthaft registrierbar zum Tragen
bis dann und wann. Man hat die Jugend in eine glitzernde Scheinwelt
gelockt, in welchen ethisches Auftreten und Zivilcourage durch
dessen bzw. deren virtuelles Abbild ersetzt wurde.
Es ist aber wenig hilfreich, den schwarzen Peter nun sogleich der
Wirtschaft zuzuschieben. All dies dient zwar der Erörterung der
Wurzeln des Problems, taugt aber überhaupt nicht zur rituellen
Klärung der Schuldfrage. Es geschah ja alles in Interesse unseres
allen liebgewordenen Wohlstandes und wir haben das gewusst. Wenn also
jemand schuld ist, dann sind wir das alle miteinander selbst. Doch
Ökonomie dient (auch bei Wohlstand) der existenziellen Selbsterhaltung,
und was immer man dafür tun muss kann einem wohl kaum zum Vorwurf gemacht
werden. Das bedeutet aber nicht, dass man nichts dagegen tun kann oder
soll.
Es gibt zunächst zwei Arten von Prophezeihungen: Die, die sich
bewahrheiten und die, die sich nicht. Dann gäbe es eventuell noch
Prophezeihungen der dritten Art, wenn man hinterher verdutzt dasteht
ohne so richtig entscheiden zu können, ob sie erfüllt oder nicht
erfüllt wurde. Die Prophezeihung der weltweiten Katastrophe durch einen
mit dem Jahr 2000 (Y2K) verbundenen Komputerfehler (auf Englisch mit
der Abkürzung TEOTWAWKI bezeichnet [The End Of The World As We Know It])
könnte sich durchaus als eine solche
erweisen.
Der Untergang Roms stürzte Europa in das dunkle Ära des Mittelalters,
doch Zivilisation blieb anderswo weiterhin erhalten, in China, Indien,
im Nahen Osten. Die griechisch-römische Kulturerbe blieb gut in der
arabisch-muslimischen Welt erhalten, um in der Renaissance nach Europe
zurückzukommen. Das Reich der Mayas ist vermutlich an den Folgen einer
selbstverursachten Umweltkatastrophe zugrunde gegangen. Auch jene
zentralamerikanische TEOTWAWKI blieb in seiner Wirkung örtlich
begrenzt.
Durch die Globalisierung wären die Folgen des Komputerfehlers gleich
globalisiert, genauso aber Folgen jedes anderen vergleichbar fatalen
Fehlers. Die weltweite AIDS-Seuche soll angeblich auf eine unreine
Versuchs-Charge eines Vakzins gegen Kinderlähmung zurückgehen. Da war
Globalisierung noch lange nicht richtig in Gang gekommen. Nun muss die nächste
Katastrophe nicht unbedingt durch global vermarktetes BSE-Rind, oder
weltweiten Einsatz genetisch veränderter Soyabohnen immer an der
Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vorbei erfolgen. Wir sind auch
noch weit genug davon entfernt, bis ein Sloterdijkeske Verengung des
humanen Genpools zur Umkippung des sich auf breiter menschlicher
Verschiedenheit gründenden menschlichen Gemeinwesens führt.
Die zur nächsten ernsten Katastrophe führende Komputermacke wird
wahrscheinlich nicht der Y2K-Systemfehler sein, auch wenn hier und da,
insbesondere in technisch unterentwickelten Regionen, mit ernsten
Schwierigkeiten zu rechnen sind. Aber die an der Schnittstelle
zwischen Mensch und Machine, die zur Entsozialisierung des Menschen
und dadurch zur Virtualisierung seiner Moral führt, die könnte sich
als tödlich erweisen. Denn, wie aus dem eingangs Erörteten hervorgeht,
spielt Glauben oder Moral eine entscheidende Rolle im Funktionieren
des menschlichen Gemeinwesens.
Kinder mit Lust zum Massenmord und Mittel zu dessen Realisierung sind
vielleicht nur Vorboten für das, was noch kommt. Unsere Demokratien
können mit einer Bevölkerung von Nihilisten nicht fortbestehen.
Dass die Demokratie ursächlich für industrielle Entwicklung und für
den Sieg gegenüber dem sozialistischen Ostblock verantwortlich war,
muss aber eigentlich nicht noch gesondert betont werden.
Es besteht gute Hoffnung, dass sich die Verantwortlichen sich durch
die drohende Perspektive hinreichend aufschrecken lassen, um wirksam
gegenzusteuern. Denn ein noch größerer Horror als der Weltuntergang
für die exklusive Gesellschaft, die jährlich zum Stelldichein in
Davao eintrifft, wäre eine Regionalkatastrophe, von welcher Andere
eventuell nicht gleichermaßen getroffen wären. Zwar wird der
Y2K-Fehler eventuell größere Schäden in Schwellenländern verursachen,
als in den Industrieländern, aber der streng-puritanische Drill, dem
die dortige Jugend noch unterzogen wird wird sie bestimmt vorerst
vor dem Moralschwund-Syndrom bewahren.
Und was kann getan werden, um eine von religiösen und weltlichen
Moralaposteln desillusionierte, aufgrund virtuell gesammelter
Lebenserfahrung den Nutzen von Moral verkennende Jugend zu läutern?
Es erscheint geradezu selbsterklärend, dass man sie nur mit einer
entmystifizierten Moral erreichen könnte. D.h., man sollte endlich
weg von der idealistischen Begründung des Moralisch-Ethischen
bewegen, hin zur Bloßlegung ihrer in den Bedingungen des materiellen
Lebens liegenden Ursprung. Das gelingt nur (siehe oben) wenn man
dialektische Logik einsetzt.
In dieser Hinsicht hat man in Deutschland aus zweierlei Gründen die
Nase vorn. Erstens hat man sich in den letzten 200 Jahren nirgendwo so
eingehend mit der Dialektik befasst, wie in diesem Land. Zweitens hat
man durch die Wiedervereinigung jetzt einen Bevölkerungsteil, dem in
der DDR, wie in allen Ostblockländern, dialektischen Materialismus
zwangsbeigebracht wurde.
Leider (oder vielleicht zum Glück) wird letzerer Umstand weniger ins
Gewicht fallen, als ersterer, nicht nur weil Wissen, das unter Zwang
doziert, äußerst widerwillig aufgenommen wird und meistens in den einen
Ohr rein, aus dem anderen raus fließt. Das kommunistische Bekenntnis zum
dialektischen Materialismus war vermutlich der größte Propagandablöff,
mit welchem der Ostblock den Westen einzuschüchtern versuchte.
Nichts ist so Antiautoritär wie dialektischer Materialismus, denn er
lehrt von der Konkretheit jeder Wahrheit, und verneint die reele
Existenz von absoluter Wahrheit. Was unter bestimmten Bedingungen oder
zur bestimmten Zeit richtig ist, kann unter anderen Bedingungen oder zu
anderer Zeit unrichtig sein die ultimative Erklärung der Vitalität
des Meinungspluralismus. Die Dialektik war den Kommunisten wichtig
als sie noch nicht irgendwo die Macht ergriffen hatten. Danach
bereitete sie ihnen unlösbare ideologische Probleme.
Im kalten Krieg war sie dem Westen mit recht suspekt, denn in den
Köpfen einer rebellischen Jugend wäre sie äußerst gefährlich gewesen.
Die Frustration der 1968er Bewegung könnte man vermutlich zu einem
großen Teil darauf zurückführen, dass sie entweder überhaupt nicht, oder
nur mit dem im Ostblock entarteten Form der Dialektik bekannt war.
Aber jetzt is der kalte Krieg nur noch Geschichte.
Also, liebe hochdotierte Philosophie-Professoren, bitte legen sie
Habermas ad acta, und greifen sie zu Dialektikbüchern. Erklären Sie
dann endlich den jungen Leut, warum Moral so unverzichtbar ist.
|
Datum: | | 13. November 1999 |
An: | | Den Tagesspiegel |
Betreff: | | 13.11.99/KULTUR: Ein Aufstand junger Herren |
|
In den 80ern sprach man von "Poppers" glaub' ich. Nun also
sind sie zwar in die Jahre gekommen, haben aber einige sich
dennoch vor dem Erwachsen-Werden gerettet.
Was Sie über die Sequenz von Lebensstilmotivationen schreiben
finde ich gut beobachtet: der antikapitalistische Affekt der
70er, der antiindustrielle der 80er, und nun der Anti-Otto-Normalvebraucher-Affekt.
Nur eines haben Sie viellecht übersehen:
bei den zwei erstgenannten handelte es sich um Jugendkulturerscheinungen.
Für die aktuelle Affekt-Erscheinung haben sich ihre Träger den
natürlichen, jugendlich-idealistisch unschuldigen Abschnitt eines
menschlichen Lebenslaufes aber reichlich stark zu verlängern
gewusst. Sind das schon die Spätfolgen bei einer Generation, bei
der bereits die Eltern vollständig der Jugendkult verfallen waren?
Das Peter-Pan-Syndrom nicht als ein persönliches seelisches
Empfinden, sondern als Generations-Erscheinung wie putzig!
Mir scheint vielmehr, dass ein Aufwachsen in der virtuellen statt
materiellen Realität dazu führen muss, dass der Umgang mit realen
Lebensproblemen immer ungewöhnter wird. Nicht genug, dass Fernsehen
immer mehr den Spielplatz, die Straße, sowie Wald und Wiese erstezt
hat: Der auf dem Bildschirm zu erlebende Lebensraum selbst ist von
kaltblutigen Science-Fiction-Gestalten bevölkert und gibt möglichst
realitätsfremde Fantasie-Welten wieder (alte Kinderbuch- und
-filmgestalten, ob Rapunzel oder Bugs Bunny, waren zwar
Fantasie-Figuren, behielten aber rein menschliche soziale und
Persönlichkeitszüge).
Auch der Umgang mit anderen Menschen (ich meine die der realen
materiellen Welt) läuft zunehmend über Handy, Internet, und andere
elektronische Medien. Wie muss das arme Kind denn wissen, wie es
sich zu verhalten hat, wenn es mal unterwegs einen Menschen begegnet?
Es bleibt ihm doch nichts anderes übrig, als zum Messer zu greifen,
oder es einfach ganz bleiben zu lassen.
Indem sie den letzteren Ausweg vorziehen, sind die Alt-Poppers dann
wohl doch irgendwie sympathischer, zumindest aber harmloser, oder?
Mit freundlichem Gruß,
Waruno Mahdi
|
Datum: | | 13. April 1998 |
An: | | Den Spiegel |
Betreff: | | 15/1998, TITEL - Der Krieg der Kinder |
|
Ich glaube nicht, daß die wachsenden Zahlen von Kinderkriminalität
und -gewalt durch Therapieren von klassischen Ursachen dieser
Phänomene in Griff zu bekommen sind. Diese Ursachen (elterlicher
Gewalt, Verwahrlosung, usw.) hat es schon immer gegeben, mitunter
sogar im größeren Maße als heute. Sie können deshalb nicht die
Ursachen der erst jetzt zubeobachtenden radikalen Sittenverrohung
unter Kindern sein. Es müssen eher neuartige Bedingungen sein, die
noch nie in der ganzen Menschengeschichte in Erscheinung getreten sind.
Zunächst sollte man vielleicht einige Kofaktoren auflisten, die
meines Erachtens zwar mitwirken, kaum aber als die Hauptursachen
taugen. Das sind z.B.
(1) |
der gewachsene Anteil von Ein-Kind-Familien,
wo Kinder nicht die Gelegenheit bekommen, Erfahrung in zwischenmenschlichen
Beziehungen in einem geschwisterlichen Miteinander zu sammeln; |
(2) |
die steigende Zahl von Kindern mit alleinerziehenden und/oder
geschiedenen Eltern, wobei sie mit verschiedenen psychischen und
Verhaltensstörungen aufwachsen; |
(3) |
die Akzeleration, die Kinder
immer früher und somit in einem geistig immer minder gereiften Alter
die Pubertät und danach die Geschlechtsreife erreichen läßt. |
Ein wieterer Faktor ist vielleicht bereits mit den eigentlichen Ursachen verbunden:
|
(4) |
Die antiautoritäre Revolution im Bildungswesen der
Industrienationen, von den eigentlich sehr begrüßenswerten Vorsätzen
bewegt, sich von den Greuelerscheinungen der Autoritären Schulbildung
zu befreien, hat getreu dem berühmten Pendelmechanismus leider mit dem
Badewasser auch das Kind ausgeschüttet. Eine Generation hat jetzt das
Erwachsenenalter erreicht, die weder mit Stress, noch mit der Mitarbeit
in hierarchischen Strukturen sich auseinanderzusetzen gelernt hat,
und deren ich-begezogenes Weltbild und Verhalten jede soziale
Beziehung mit Anderen zu einem Abenteuererlebnis für sie werden läßt.
Und jetzt schickt sich eben diese Generation an, eigene Kinder
großzuziehen: Eine wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche
Avancieren des Fernsehgeräts zum Ersatzelternteil. |
Kultur basiert bekanntlich auf die gesammelte Erfahrung aller früheren
Generationen einer Bevölkerung, die jedesmal, bereichert um den
Erlebnissen und Errungenschaften der gerade lebenden Generation,
an die Kinder weiter gegeben wird. Ein in die Erwachsenenwelt entlassenes
Kind erhält einerseits dieses kulturelle Erbe mit auf den Weg, bringt
andrerseits einige Erneuerungen seiner eigenen Generation mit hinein.
Das Geerbte hat aber nicht nur immer überwogen, sondern war für die
kulturelle Kontinuität bestimmend. Was wir heute erleben ist meines
Erachtens eine allmählich einsetzende Unterbrechung dieser Estafette,
und zwar infolge zwei Entwicklungen, die irgendwie miteinander
verbunden sind.
Eine dieser Entwicklungen ist die technologische Akzeleration, wodurch
die Periode der technologischen Umrüstung jetzt die kritische Barriere
der Länge des produktiven Lebensalters eines Menschen durchzubrechen
droht. Wenn technologische Umwälzungen in der Steinzeit Jahrtausende
brauchten, in der Metallzeit Jahrhunderte, so wiederholen sich solche
Umrüstungen im Industriezeitalter bereits alle paar Jahrzehnten. Nach
vierzig sind viele für einen neuen Job nicht mehr hinreichend qualifiziert,
mit fünfzig ist man bereits hoffnungslos hinter der Technik zurück. In
der Produktion ist man dann immer mehr auf die Hilfsbereitschaft von
jüngeren angewiesen. Menschen im reifen Alter verlieren somit an derjenigen
Autorität, welche ihre Erfahrung und ihr Wissen für Jüngeren erkennbar als
erlernenswert erscheinen läßt. Der grasierende Jugendkult ist wahrscheinlich
als eine der unmittelbaren Folgen dieser Entwicklung zu betrachten.
Grufties gelten nur noch als Altlasten, deren Renten man nun irgendwie
auch noch zuerwirtschaften hat.
Eine zweite Entwicklung ist die Marktübersättigung. Die klassische
marktwirtschaftliche Produktion funktioniert nur bei einem Überschuss
von Einnahmen über Ausgaben. Grob ausgedruckt muss der Verkauf mehr
einbringen, als in Form von Lohn und Dividenden ausgezahlt wurde.
So lange aber nur diese letzteren die Kaufkraft bestimmen, kann man nie
ein Mehr an Einnahmen reinholen. Früher konnte man die Kolonien als
Absatzmarkt missbrauchen. Später mussten die Dritteweltländer aufgrund
der Preisschere zwischen verbilligten Rohstoffen und verteuerten
Industrieerzeugnissen als Lückenbüßer zum Aufrechthalten des
Nachkriegswohlstandes der Industrieländer herhalten. Aber seit der
großen Ölkrise geht auch das nicht mehr. Stattdessen begegnen sie
einen heute als "Tiger-" und Schwellenländer.
Dann kann man noch die ständig wachsende Lücke zwischen Ausgaben und
Einnahmen durch spiralartig wachsende Krediten schließen. Dies setzt
aber ein akzelerierendes Wachstum voraus, damit der Kredit von Heute
immer mit dem Mehr an Umsatz von Morgen ausgeglichen werden kann (der
seinerseits einen noch größeren, übermorgen zubegleichenden Kredit
bedingt). Käufer müssen durch eine sich immer rascher erneuerende
Pallette von immer kurzlebigeren Wegwerfprodukten zu einem immer fleissigeren
Kauf ermuntert werden, am liebsten auf Pump. Und jetzt, nachdem die
Käufer, oder zumindest die erwachsenen unter ihnen, mittlerweile unter
Bergen von Müll und Schulden stönend, nicht mehr zu einem noch gewagteren
Käuferverhalten zuanimieren sind, müssen die Kinder her.
Denn die sind diesem Werben völlig schutzlos ausgeliefert, zumal eine
eventuelle mäßigende Wirkung von Eltern, zum einen Teil durch deren Ersatz
durch das Fernsehgerät, zum anderen durch deren Autoritätsverlust,
bereits frühzeitig ausgeschaltet wurde. Mittlerweile schrecken sie
sich nicht einmal mehr vor dem gelegentlichen Gang auf den Strich,
um das nötige Geld für unverzichtbare Markenartikel aufzutreiben, nicht
nur Student(inn)en sondern auch Schüler(innen). Machen wir uns nichts
vor. Schuld sind nicht nur "die Politiker" und "die Industrie". Wir
alle mit unserem Wohlstand, oder was immer davon noch übriggeblieben
ist, leben auf Kosten unserer Kinder, aber nicht nur wegen der immer
größer werdenden Staatsverschuldung, die wir ihnen aufbürden, sondern
vornehmlich wegen deren geistigen Verkrüppelung, indem wir sie diesem
Konsumkrieg preisgeben.
[...] Ein internationales
Verbot (nur national geht nicht) von Werbung für Kinder und die
Indizierung von Gewalt und Konsum verherrlichenden Filmen, Komputerspielen
und Spielzeugen Würde eventuell reichen, um Kinderkriminalität und -gewalt wieder
auf das alte Niveau zurückzuschrauben. Aber das ist eine Utopie.
Es würde eine mittlere bis größere Weltwirtschaftskrise hervorrufen,
die keiner sich würde wagen zu verantworten. Man hat es ja nicht
einmal gewagt, angesichts katastrophaler Verschlechterung der
Kindergebisse und Anhäufung von Hyperaktivität, Übergewicht und
Allergien, den reisserischen Absatz von zucker- und farbstoffhaltigen
Speise- und Naschwaren einzudämmen.
Also müssen die Kinder wohl oder übel vorläufig weiter dafür hinhalten,
bis die Schwellen- und die Noch-Nicht-Schwellenländer nachgerückt sind,
damit alle beisammen sich dann Gedanken darüber machen könnten, ob diese
nunmehr kinderfressende Marktwirtschaft, die uns sonst so gut gedient hat,
nicht in eine Weise zu reformieren wäre, um auch kinderschonend (und
umwelt- und rohstoffschonend) ohne Dauerwachstumszwang zu funktionieren.
Eine trostende Hoffnung bleibt auf jeden Fall: Sollte es mit der Vernünft nicht so
recht klappen wollen: Spätestens wenn die Rohstoffe alle sind, wird
Mutter Natur uns dazu zwingen.
Mit freundlichen Grüßen,
Waruno Mahdi
|